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Friedensgebet - montags im Netz

20.04.2020

Eigentlich läuten montags um 17.00 Uhr die Glocken zum Friedensgebet. Eigentlich....

Auch heute läuten sie nur in unseren Gedanken, aber die Einladung zum Gebet ist trotzdem da.
Bettine und Gernot Keyßer aus dem Kreis der Vorbereitenden des Friedensgebets schreiben uns:

Wir

Seit vier Wochen befindet sich die Welt in einer Situation, die es in diesem Ausmaß und dieser Radikalität noch nie gegeben hat. Ich muss den Namen des Krankheitserregers nicht nennen, jeder kennt ihn. Jeder weiß eigene Geschichten, Probleme, auch Anekdoten zu erzählen, wir alle sind betroffen von diesem Problem, dessen Auswirkungen, Dauer und langfristigen Komplikationen noch nicht absehbar sind.

Wir sind betroffen. Ich, Du, Er, Sie, es: Wir. Und diesem Wort „Wir“ soll dieser Text zum Friedensgebet gewidmet sein, denn die Art, wie wir das „Wir“ verstehen, wird bestimmen, wie „wir aus dieser Krise herauskommen, was wir dabei lernen, was wir dabei verlieren.

Wie viele Formen von „Wir“ es doch gibt. Das Liebespaar, dass nach und nach aus dem „Du“ und „Ich“ ein „Wir“ werden lässt, anfangs vorsichtig ausprobiert, später mit freudiger Gewissheit. Das optimistische Wir, das eine Brücke zu dem Angesprochenen schlägt: „Wir stehen das gemeinsam durch!“ Das diplomatische „Wir“, das eine Kritik vorsichtig versteckt: „Wir sollten gemeinsam darüber nachdenken, ob es nicht einen besseren Weg gibt.“ Das Wir als Bekenntnis, als Zusicherung, zu einer großen Gemeinschaft zu gehören: „Wir glauben alle an einen Gott, Schöpfer des Himmels und der Erden, der sich zum Vater geben hat, dass wir seine Kinder werden“.

Andere Formen von „Wir“ sind weit weniger einladend, weniger entgegenkommend. Das anmaßende „Wir“, das die eigene Bedeutung erhöhen soll: Kaiser Wilhelm der II., der von sich als „Wir, Wilhelm, von Gottes Gnaden, Deutscher Kaiser, König von Preußen“ sprach. Und dann gibt es das „Wir“, das bedeutet: Wir, und nicht Ihr! Das ungute „Wir-Gefühl“ zur Zeit des Nationalsozialismus: Als Hitler die Macht ergriff, machte es sich breit: Wir sind wieder wer! Daraus wurde dann „Wir werden weitermarschieren, wenn alles in Scherben fällt,…“ Dieses „Wir“ grenzt aus, was als fremd, feindlich, nicht zugehörig bezeichnet wird: Wir und Die. Mit diesem „Wir“ vereinnahmt die neue Rechte Menschen ohne deren Zustimmung: „Wir – die Deutschen - werden von kulturfremden Völkern …überschwemmt (Zitat Frau Weidel), „Wir können uns nicht von Kinderaugen erpressen lassen“ (Herr Gauland zum Flüchtlingselend).

Das Virus unterscheidet nicht zwischen „Wir“ und den anderen. Es kennt keine Ländergrenzen. Es kennt keine Religionen oder Rassen, keine Bildungs- oder Einkommensunterschiede. Eigentlich eine gute Zeit, damit die Menschen sich auf das „Wir“ besinnen, auf unsere Verletzlichkeit, auf unsere Endlichkeit und auf den Schutz der Schwächsten in unserer Gemeinschaft. Eine Zeit, in der reflektiert wird, warum sich das Virus so rasend schnell ausbreiten konnte. Eine Zeit, in der sich Menschen fragen: Was können wir tun? Was müssen wir ändern? Worauf können und müssen wir verzichten.

Ich sehe leider eine andere Entwicklung: Länder schotten sich ab, verteidigen Eigeninteressen ohne Absprache mit Nachbarn oder Bündnispartnern und konkurrieren rücksichtslos um Ressourcen. Und das Schlimmste: Wir lassen Menschen, die nicht zu unserem „Wir“ gezählt werden, im Stich. Das gilt für Flüchtlinge ebenso wie für Gastarbeiter, Asylbewerber oder Strafgefangene. Der Schaden, der sich aus diesem Verlust von Solidarität, Anstand und Gerechtigkeitsempfinden entwickelt hat, lässt sich nicht in Zahlen darstellen – aber er ist gewaltig und wird lange nachwirken.

Das Wort „Wir“ taucht in der Bibel vor allem in den Briefen auf, die nach dem Tod von Jesus Christus geschrieben wurden. Sein Tod und die Auferstehung schufen die Gemeinschaft der Christen, das „Wir“ der christlichen Gemeinde. Im 2. Korintherbrief heißt es „So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott vermahnt durch uns..“ (2.Kor.5:20). Die heutige Zeit lehrt uns, wie schwer so ein Auftrag zu erfüllen ist. Das göttliche Gebot der Nächstenliebe in diesen Zeiten zu leben, in denen jeder und jede die eigenen Probleme als das Naheliegende ansieht: Das ist schwer, aber es ist auch notwendig. Denn das Virus können wir nur gemeinsam überwinden: alle Nationen, alle internationalen Organisationen, alle wissenschaftlichen Institute, alle Menschen: Wir.

Zurzeit sieht es eher nach einem anderen Szenario aus, an das mich eine Liedstrophe von Matthias Claudius erinnert: „Wir lieben Menschenkinder sind eitel arme Sünder und wissen gar nicht viel. Wir treiben viele Künste, verfolgen Hirngespinste und kommen weiter von dem Ziel.“

Sorgen wir also füreinander. Denken wir nicht nur an die eigenen Belange, den Schutz der eigenen Sphäre: Sorgen wir auch für die, denen im Moment niemand hilft, helfen wir den Menschen, deren Elend in Flüchtlingslagern Griechenlands oder Libyens zum Himmel schreit. Sie im Stich zu lassen, wird sich rächen. „Verschon uns Gott mit Strafen und lass uns ruhig schlafen, und unsern kranken Nachbarn auch.“

Bleiben Sie behütet, auch in der kommenden Woche. Wir grüßen Sie herzlich aus dem Friedensgebetskreis und hoffen, dass wir bald wieder persönlich zusammenkommen können.


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